Aktuelles Darmgesundheit

Veränderte Darmflora Schuld am Reizdarm?

Durchfall, Verstopfung, Blähungen, Völlegefühl und Bauchschmerzen – ein Reizdarm kann den Betroffenen das Leben zur Hölle machen. Da nutzt es wenig, wenn die Ärzte versichern, dass diese Erkrankung nicht gefährlich oder lebensbedrohlich ist. Oft geht eine Darminfektion und eine Störung der Darmflora dem Reizdarmsyndrom voraus.

Depressionen und Ängste durch Störungen der Darmflora

Etwa 10 Prozent aller Menschen leiden unter diesen Darmbeschwerden. Die meisten haben schon eine Odyssee von Arzt zu Arzt hinter sich: Magenspiegelung, Ultraschall, Darmspiegelung – alles erscheint unauffällig. Oft wird das Reizdarmsyndrom deshalb als ein rein psychisches Problem abgetan, vor allem, weil die Patienten gleichzeitig besonders häufig ängstlich oder depressiv erscheinen.

Gerade beim Reizdarmsyndrom zeigt sich aber, wie eng Kopf und Bauch verbunden sind. Auffallend häufig gehen nämlich psychische Erkrankungen mit Magen-Darm-Beschwerden einher. Leider misst man dem Grummeln im Darm – ganz anders als dem plötzlich veränderten Verhalten der Betroffenen – nur wenig Bedeutung zu. Erst seit Kurzem denkt man darüber nach, ob vielleicht der aufgewühlte Darm für die aufgewühlte Psyche verantwortlich sein könnte. Demnach wären die Darmprobleme nicht die Folge, sondern wahrscheinlich die Ursache der begleitenden Ängste und Depressionen.

Denn nicht nur die Nervenzellen im Gehirn empfangen die Morsesignale aus dem Gedärm. Auch das Darmnervensystem besitzt zahlreiche Chemorezeptoren, die die Botenstoffe der Darmbakterien erkennen und in entsprechende Signale und Botschaften „übersetzen“ können. Kürzlich stellte sich heraus, dass bestimmte beruhigende Synapsen im Bauchhirn nur dann reagieren, wenn das Gedärm von gutmütigen Keimen besiedelt wird.

Stress verursacht Darmbeschwerden

Untersuchungen an Ratten zeigen, was unter Stress passiert: Lässt man sie nur lange genug auf ihrer kleinen Insel im großen Wassergefäß hocken, entwickeln sie ähnliche Symptome wie Reizdarmpatienten. Die Darmbarriere schwächelt, Entzündungsstoffe werden vermehrt produziert und bei den Ratten steigt die Schmerzempfindlichkeit des Darms durch die Entzündungen deutlich an. Die Darmnerven reagieren mit unangemessen starken Schmerzen auf kleine Reize, die die Nerven Darmgesunder ohne Weiteres tolerieren würden.

Auch bei Reizdarmpatienten scheint die die Kommunikation zwischen Gehirn und Verdauungssystem durcheinandergekommen zu sein. Offensichtlich schickt der Darm falsche Informationen an die grauen Zellen, denn die Nervenzellen des gereizten Darms sind viel aktiver und reagieren sehr viel sensibler, geradezu mimosenhaft auf verschiedene Einflüsse.

Darminfekt als Auslöser des Reizdarms?

Seit einiger Zeit vermutet man, dass viele Betroffene vor dem ersten Auftreten der Erkrankung an einem Darminfekt litten und dieser die Misere in Gang gesetzt hat. Ein Zufall brachte die Mediziner auf die Spur: Im Jahr 2000 erkrankten von den rund 4.000 Einwohnern des kanadischen Ortes Walkerton 1368 an einer Durchfallerkrankung, ausgelöst durch Salmonellen im Trinkwasser. Zwei Jahre später litt noch ein Drittel der ehemals Erkrankten unter typischen Reizdarmbeschwerden, während von der übrigen, nicht infizierten Bevölkerung nur weniger als jeder Zehnte Darmprobleme hatte.

Auch in einem Altersheim erkrankten fast 40 Bewohner an einer Salmonelleninfektion. Obwohl alle diesen Infekt gut überstanden hatten, nach einiger Zeit bei keinem mehr Salmonellen im Stuhl nachgewiesen werden konnten und keiner der Betroffenen vor dem Infekt unter Magen-Darm-Beschwerden gelitten hatte, klagte auch hier jeder Dritte noch ein Jahr später über typische „Reizdarmsymptome“.

Veränderte Darmflora bei Reizdarm

Eine Infektion wirbelt das empfindliche Gleichgewicht der Darmkeime offensichtlich ordentlich durcheinander. Häufig werden die Karten für die angestammten Bakterien bei einem solchen Ereignis neu gemischt und plötzlich haben andere Keimstämme das Sagen. Dazu passt die Entdeckung, dass sich auch das Mikrobengemisch bei Patienten mit Reizdarmsyndrom deutlich von dem Gesunder unterscheidet. Forscher vom Cedars-Sinai Medical Center in Los Angeles stellten fest, dass sich bei Patienten mit Reizdarmsyndrom bestimmte Bakteriengruppen besonders stark vermehren. Bei mehr als einem Drittel der Betroffenen ließ sich dieser Befund nachweisen, besonders häufig dann, wenn Durchfall ein vorherrschendes Symptom war. Mark Pimentel, der Leiter des Zentrums, empfiehlt, die wuchernden Bakterien mit einem speziellen Antibiotikum in die Schranken zu weisen. Der Wirkstoff Rifaximin wirkt ausschließlich im Darm und wird nicht ins Blut aufgenommen. Hier vor Ort reduziert er aber wirkungsvoll die Übeltäter, die für den Reizdarm verantwortlich sind und den Darm in helle Aufregung versetzen. Erfreulicherweise scheint der Effekt auch lange nach dem Absetzen des Antibiotikums anzuhalten. Doch bevor man zur antibiotischen Keule greift und neben den Reizdarmkeimen auch die vielen Schutzkeime zerstört, ist ein Versuch mit probiotischen Bakterienstämmen sinnvoll. Die meisten können Sie als Präparate in der Apotheke oder im Internet kaufen.

Diese Probiotika sind hilfreich bei Reizdarm und werden teilweise auch in den offiziellen Leitlinien zur Reizdarmtherapie erwähnt: Verschiedene Lactobacillus-Stämme (L. plantarum, L. rhamnosus, L. casei), Bifidobakterien (z.B. B. infantis, B. animalis, B. breve) und andere Keime wie Streptococcus faecium und Escherichia coli Nissl

Ausführliche Informationen

Quellen

Probiotika: Leitlinien sprechen Empfehlung aus https://magendarm-zentrum.de/images/dokumente/publikationen/reizmagendarmsyndrom/leitlinie-reizdarm-und-probiotika.pdf

Werlang ME, Palmer WC, Lacy BE (2019) Irritable Bowel Syndrome and Dietary Interventions. Gastroenterol Hepatol (N Y). 15(1): 16–26 https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6423692/