Geburt und Stillzeit – bedeutend für Darmflora und Hautflora des Kindes
Entscheidende Meilensteine für die Entwicklung der Haut- und Darmflora sind die Art der Geburt, die Ernährung in den ersten Lebensmonaten bzw. ersten Lebensjahren sowie das häusliche Umfeld. Im Mutterleib schwebt der Säugling neun Monate in einer weitgehend keimfreien Umgebung mit wenigen Bakterienkontakten. Darm und Haut sind in dieser Phase des Lebens noch fast steril. Das ändert sich, wenn die Fruchtblase platzt und die Wehen einsetzen.
Die nächsten Stunden entscheiden darüber, wie es in den kommenden Jahren, vielleicht sogar Jahrzehnten um sein Mikrobiom und damit auch um seine Gesundheit bestellt sein wird. Wenn alles reibungslos läuft und das Baby auf natürlichem Weg das Licht der Welt erblickt, hat es schon mal ein Ass im Ärmel. Denn beim Durchtritt durch den Geburtskanal kann es zahlreiche gesunde Bakterien auf die Reise ins Leben mitnehmen und Mikroorganismen wie Bacteroides, Bifidobakterien und Lactobazillen gehen auf die Haut und den Darm des Babys über.
Bifidobakterien nach der Geburt besonders wichtig
Vor allem die Bifidobakterien sind wichtig für die frühkindliche Entwicklung des Immunsystems und spielen bei gestillten Säuglingen eine wichtige Rolle. Deren Darmflora besteht zu rund 90 Prozent aus gesunden Bifidobakterien. Die vaginale Geburt gleicht deshalb einer Dusche mit gesunden Keimen. Ist der Säugling auf der Welt, siedeln schon viele Bakterienkolonien im Verdauungstrakt, die das junge Immunsystem stimulieren und stärken. Sie bilden eine gute Grundlage für eine vielfältige Darmflora und sitzen nun in den Startlöchern, um Gutes für die kindliche Entwicklung zu tun. Auch die Haut erhält auf diese Weise eine Portion freundlicher Bakterien, die das Hautmikrobiom stärken. Die Bakterienbesiedelung von Mutter und Kind ist sich viel ähnlicher als die von fremden Menschen. Man könnte sagen, wir erben von unserer Mutter nicht nur die Gene, sondern auch das Mikrobiom.
Veränderte Haut- und Darmflora durch Kaiserschnitt
Doch jedes dritte Kind kommt inzwischen per Kaiserschnitt auf die Welt. Bei dieser sterilen Geburt gewinnen nicht die wohlwollenden mütterlichen Keime das Rennen um die besten Plätze im Darm und auf der Haut, sondern die Mikroorganismen, die sich auf der Haut oder der Kleidung von Ärzten, Pflegern oder Eltern befinden. Es fehlt der Kontakt mit der mütterlichen Flora und so machen sich zum Beispiel Keime aus der Gruppe der Clostridien oder E. colis als erste im Darm breit. Auch potentiell krankmachende Bakterienstämme, die man vor allem in der Klinik findet, erobern dann schon früh Haut und Schleimhäute des Neugeborenen.
Kaiserschnitt Geburt als Risiko für Allergien, Neurodermitis und Übergewicht
Die Bedingungen für ein gesundes Mikrobiom verschlechtern sich durch eine Kaiserschnitt Geburt schlagartig. Und das könnte für das Kind durchaus viele Jahre Nachteile mit sich bringen. Studien zeigen, dass durch eine Sectio-Entbindung vor allem die Entwicklung des kindlichen Immunsystems beeinträchtigt wird und die Gefahr für Allergien, Neurodermitis oder Autoimmunerkrankungen im späteren Leben steigt.
Das Risiko später übergewichtig zu werden, ist sogar um mehr als 30 Prozent höher als bei vaginal entbundenen Säuglingen. Zum gleichen Ergebnis kommt auch der Kindergesundheitsreport 2019 der Techniker Krankenkasse. Demnach steigert ein Kaiserschnitt beispielsweise das Risiko für eine chronische Bronchitis oder allergisches Asthma in den ersten Lebensjahren um fast zehn Prozent. Andere Probleme treten sogar erst viel später im Laufe des Lebens auf. Vor allem für Übergewicht, chronisch entzündliche Darmerkrankungen und Verhaltensauffälligkeiten wie beispielsweise eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) scheint eine Sectio-Entbindung empfänglicher zu machen. Insgesamt zeigt sich bei den Kaiserschnittkindern bei 19 von 67 Krankheitsgruppen, die im Report näher untersucht werden, ein signifikant höheres Erkrankungsrisiko
Bakterien-Impfung stärkt die Darmflora
Um diesen Nachteil auszugleichen, haben amerikanische Ärzte versucht, das mütterliche Mikrobiom direkt nach der Geburt auf den Nachwuchs zu transferieren. Dazu haben sie eine Stunde vor dem Kaiserschnitt sterile Mullbinden in die Scheide der werdenden Mütter gelegt und wenige Minuten nach der Geburt Mund und Haut der Babys damit eingerieben. In den Wochen danach untersuchten die Wissenschaftler in regelmäßigen Abständen die bakterielle Besiedelung von Haut, Mund und Darm und verglichen diese mit Kaiserschnittkindern ohne „Bakterienimpfung“ und mit Babys, die auf natürlichem Weg zur Welt kamen. Tatsächlich siedelten sich die Scheidenbakterien an, wenn auch nicht in der gleichen Zahl wie bei vaginal entbundenen Kindern.
Immerhin ließen sich aber deutlich größere Keimzahlen nachweisen als bei der Gruppe der per Kaiserschnitt entbundenen und nicht mit mütterlichen Keimen beimpften Neugeborenen. Vor allem Milchsäurebakterien und Keime aus der Gruppe der Bacteroides, die dafür bekannt sind, dass sie sich günstig auf die Reifung des kindlichen Immunsystems auswirken, kamen bei den Kindern, die nach der Geburt das Mikrobiom der Mutter übertragen bekamen, in großer Zahl vor. Bei Kaiserschnittentbundenen waren diese wichtigen Stämme fast nicht nachweisbar. Studien haben gezeigt, dass probiotische Bakterien helfen können. In verschiedenen Untersuchungen sank das Krankheits-Risiko für den Nachwuchs, wenn entweder die Mutter während Schwangerschaft und Stillzeit bestimmte Milchsäurebakterien und Bifidobakterien (alleine oder als Probiotika-Mix z.B. Lactobazillus rhamnosus) einnahm oder die Kinder später diese Probiotika erhielten. Vor allem für Allergien, Neurdermitis und ADHS ist das recht gut belegt.
Bakterienbad für die Haut
Auch die Hautflora des Kindes leidet wahrscheinlich, wenn sie während des Geburtsvorgangs nicht mit den richtigen Keimen „gebadet“ wird. Das Problem: Zahlreiche Hauterkrankungen gehen mit einer veränderten Hautflora einher und wenn sich die falschen Bakterien ausbreiten, steigt das Risiko für Entzündungen der Haut. Das gilt auch für die Neurodermitis, die vor allem kleine Kinder in den ersten Lebensjahren betrifft. Möglichweise liegt diese Häufung in jungen Jahren tatsächlich an einer schwachen Ausbildung des Hautmikrobioms.
Nachweislich erkranken Kaiserschnittkinder nämlich deutlich häufiger an Neurodermitis und bei Neurodermitis ist wiederum eine gestörte Hautflora mit einer hohen Zahl krankmachender Bakterien, vor allem Staphylokokkus aureus, ein Grund für schwere Krankheitsverläufe. Wissenschaftliche Studien wiesen nach, dass eine äußerliche Behandlung mit probiotischen Bädern die Hautflora bei Ekzemen stärkt, Juckreiz und Hauttrockenheit lindert und das Hautbild verbessert: https://schlank-mit-darm.de/hautkur-mit-aktiven-probiotika-bietet-neue-chance-bei-neurodermitis/
Die aktuelle Studienlage lässt vermuten, dass die vorbeugende, äußerliche und innerliche Anwendung probiotischer Bakterien den Verlauf einer Neurodermitis oder anderer allergischer Erkrankungen im Kindesalter günstig beeinflussen könnte.
Die Kinderstube des Mikrobioms
Der nächste Meilenstein, der unser Mikrobiom wahrscheinlich lebenslang prägt, ist die Säuglingskost. Wird das Baby gestillt, dann breiten sich milchsäureproduzierende Bakterien wie Bifidobakterien und Laktobazillen im Darm aus. Diese sorgen für ein saures Darmmilieu. Ein niedriger pH-Wert sichert dem Mikrobiom beste Entwicklungsbedingungen und hält krankmachende Eindringlinge fern.
Bekommt der Nachwuchs Fläschchen, dann entwickelt sich schon sehr früh eine Darmflora, die der von Erwachsenen ähnelt. Hier werden wichtige bakterielle Entwicklungsschritte übersprungen. Hersteller von Babynahrung versuchen deshalb, diesen Mangel durch Zusatz probiotischer Bakterien und präbiotischer Ballaststoffe zur Säuglingsnahrung auszugleichen. Auch, wenn das ein erster Schritt in eine gute Richtung ist – an die „Original-Milch“ von Mama reichen sie nicht ran.
Wie sich das Mikrobiom nun weiterentwickelt, hängt von ganz vielen Faktoren ab. Besonders während der ersten drei Lebensjahre ist das Mikrobiom noch sehr instabil und störanfällig. Was dieser jungen Darmflora besonders zusetzt, wollten US-amerikanische Forscher vom New York University Langone Medical Center herausfinden. Sie analysierten in den ersten beiden Lebensjahren in regelmäßigen Abständen Stuhlproben von 43 Kindern. Dabei entdeckten sie, dass verschiedene Einflüsse die gesunde Entwicklung des Mikrobioms stören und seine Vielfalt langfristig reduzieren.
Neben einer Kaiserschnittentbindung waren das vor allem wiederholte Antibiotikagaben und künstliche Säuglingsnahrung. Antibiotika und andere Medikamente können zu ausgeprägten und manchmal auch dauerhaften Veränderungen der Darmflora führen. Diese können kurz- und langfristig erhebliche Auswirkungen auf unsere Gesundheit haben. Vor allem Keime aus der Gruppe der Lachnospiraceae reagierten auf Antibiotikabehandlungen sehr sensibel. Dabei sind diese Bakterien enorm wichtig. Sie produzieren die wichtigen kurzkettigen Fettsäuren wie Butyrat und Propionat. Vor allem bestimmte Zellen des Abwehrsystems (regulatorische T Zellen) sind darauf angewiesen. Diese Immunzellen sollten sich beim Kleinkind gut entwickeln, um es später vor Allergien und Diabetes zu schützen.
Literaturquellen Geburt Haut- und Darmflora
Bokulich N, Chung J, Battaglia T et al. (2016) Antibiotics, birth mode, and diet shape microbiome maturation during early life. Science Translational Medicine 8 (343):343ra82 https://stm.sciencemag.org/content/8/343/343ra82
Dominguez-Bello, M., De Jesus-Laboy, K., Shen, N. et al. (2016) Partial restoration of the microbiota of cesarean-born infants via vaginal microbial transfer. Nat Med 22, 250–253. https://www.nature.com/articles/nm.4039
Dominguez-Bello M, Costello E, Contreras M et al. (2010) Delivery mode shapes the acquisition and structure of the initial microbiota across multiple body habitats in newborns. PNAS 107 (26) 11971-11975 https://www.pnas.org/content/107/26/11971.full
Fölster-Holst R (2010) Probiotics in the Treatment and Prevention of Atopic Dermatitis. Ann Nutr Metab 57 (suppl 1):16–19 https://www.karger.com/Article/PDF/309054
Zeidler J et al. (2019) Kindergesundheitsreport 2019. Techniker Krankenkasse https://www.tk.de/resource/blob/2061920/cb0a2bd21b6839f4e0d13d5259c09597/studie-kindergesundheitsreport-2019-data.pdf