Arterienverkalkung und Darmflora – Wie Bakterien Gefäße verstopfen
(Auszug aus dem Buch „Gesund mit Darm“) Selbst dem Laien ist inzwischen bekannt, dass zu viel rotes Fleisch und Wurst das Risiko für Herzerkrankungen und Arterienverkalkung erhöht. Doch auch Experten wussten bis vor kurzem noch nicht, dass hier die Darmbakterien ihre Finger im Spiel haben. Denn es geht beim Thema Arterienverkalkung schon lange nicht mehr nur um die gesättigten Fettsäuren. Viel interessanter bzw. gefährlicher für die Gefäße ist das, was die Darmflora zum Beispiel aus der im Fleisch, aber auch in Eiern oder Nahrungsergänzungsmitteln für Sportler enthaltenen Aminosäureverbindung „L-Carnitin“ macht. Die Verbindung zum Fleisch trägt L-Carnitin schon im Namen. Der leitet sich vom Wort „Carne“ ab, das im Italienischen, Lateinischen und Spanischen „Fleisch“ bedeutet.
Züchten wir die „falschen“ Bakterien im Darm, dann produzieren diese aus Carnitin den Stoff Trimethylamin (TMA). In der Leber wird dieses Molekül dann in das ebenfalls bedenkliche Trimethylaminoxid (TMAO) umgewandelt.
Inzwischen gibt es zahlreiche Studien mit Menschen und an Tieren, die die Gefahren hoher TMAO-Level für unsere Gefäße gut belegen. Am Spiegel dieses bakteriellen Stoffwechselprodukts lässt sich sogar das individuelle für Herz-Kreislauferkrankungen ablesen. Patienten mit einer hohen Trimethylaminoxid-Konzentration im Blut haben ein doppelt bis fünffach so hohes Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall (Li 2017).
L-Carnitin, Darmflora und Arterienverkalkung
Wie hoch die Werte steigen, hängt von unserer alltäglichen Ernährung ab und wie diese die Darmflora prägt. In einem Versuch erhielten Fleischesser und Vegetarier eine bestimmte Dosis L-Carnitin. Interessanterweise stiegen die TMAO-Spiegel nur bei den Fleischessern an. Bei Vegetariern, die offensichtlich nur über geringe Mengen an Carnitin-verarbeitenden und TMAO-produzierenden Keimen verfügten, blieb der TMAO-Spiegel niedrig. Auch Labortieren ohne Mikrobiom bilden trotz reichlich Carnitin im Trinkwasser kein gefäßschädigendes TMAO.
Ernährungsgewohnheiten verändern Darmflora
Wer viel und regelmäßig Fleisch isst, bewirkt dadurch, dass sich das Mikrobiom entsprechend anpasst und sich Bakterien vermehren, die sich auf die Verarbeitung von Fleisch spezialisiert haben. Dadurch steigt das Risiko, ein stark TMAO-produzierendes Mikrobiom zu entwickeln. Ob das so ist, lässt sich mit Hilfe eines Blut- oder Stuhltests überprüfen. Aber auch bei Vegetariern lässt sich teilweise eine nicht unerhebliche TMAO-Produktion nachweisen. Die meisten pflanzlichen Produkte weisen zwar nur einen sehr geringen Carnitin-Gehalt auf. Relativ viel L-Carnitin findet man jedoch in getrockneten Steinpilzen. Vegetarier nehmen durch Milchprodukte und Eier ebenfalls höhere Mengen zu sich. Käse kann bis zu 12 mg L-Carnitin pro 100 g enthalten. Es ist aber auch wichtig zu betonen, dass L-Carnitin ein Bestandteil unserer Ernährung ist und wir gewisse Mengen regelmäßig zuführen müssen.
Wie unterscheidet sich die Darmflora von Personen, die viel TMAO produzieren im Vergleich zu denen, deren TMAO-Bildung eher auf Sparflamme läuft?
Nur Bakterien, die über bestimmte genetische Voraussetzungen für die Umwandlung von L-Carnitin verfügen, können den TMAO-Spiegel ansteigen lassen. Dazu zählen unter anderem die Keime E. coli, Klebsiella, Citrobacter und Proteus. Diese Bakterien werden auch als „Entzündungsbakterien“ oder „Fäulniskeime“ bezeichnet. Besonders bei einer Ernährung mit viel tierischem Eiweiß vermehren sie sich stark. (Wu 2019)
L-Carnitin-Gehalt unterschiedlicher Nahrungsmittel (Angaben pro 100 g):
- Lammfleisch ca. 100 -200 mg
- Rindfleisch 50 – 150 mg
- Kalb ca. 70 – 100 mg
- Getrocknete Steinpilze ca. 40 mg
- Hummer ca. 30 mg
- Schweinefleisch ca. 25 mg
- Putenkeule ca. 15 mg
- Seelachs ca. 15 mg
- Hühnchenbrust ca. 8 mg
- Milchprodukte ca. 2-10 mg
- Thunfisch ca. 5 mg
- Eier ca. 1 mg
Risiko für Arterienverkalkung testen
Ob die Darmbakterien viel gefäßschädigendes Trimethylamin produzieren, lässt sich testen. Dazu stehen zwei Untersuchungen zur Verfügung
- Die TMAO-Konzentration kann im Blutserum oder im Urin bestimmen werden
- TMA-bildenden Enzyme der Darmflora lassen sich in einer Stuhlprobe nachweisen
Wie lässt sich die TMAO-Produktion regulieren?
In Studien sind Forscher auf verschiedene Substanzen gestoßen, die die Bildung schädlicher Metabolite durch die Darmflora reduzieren können. Einer davon ist der Knoblauchwirkstoff Allicin. In einer Studie stiegen die TMAO-Spiegel nach Carnitingabe um das 4- bis 22-fache an. Erhielten die Versuchstiere aber Allicin, dann ließen sich nur minimale Veränderungen feststellen, die Gefäße der Mäuse waren vor den schädlichen Einflüssen geschützt (Wu 2015).
Aber auch ein anderer Wirkstoff mit der komplizierten Bezeichnung Dimethyl-Butanol (DMB) bremst den Gefäßschädling aus. Enthalten ist DMB unter anderem in kaltgepresstem Oliven- und Traubenkernöl, Rotwein und Balsamicoessig. Erhielten Labornager 4 Monate lang täglich größere Mengen Carnitin und Cholin, dann schossen deren TMAO-Wert steil in die Höhe. Doch ein Teil der Mäuse bekam zusätzlich noch schützendes DMB ins Trinkwasser. Das erstaunliche Ergebnis: Trotz ungesunder Carnitinzufuhr stiegen die TMAO-Spiegel nur gering an und die Nager entwickelten seltener verkalkte Gefäße. Ähnliches ließ sich übrigens auch bei Untersuchungen an Menschen beobachten.
Zudem sollte man versuchen, die Zahl der TMA-Bildner zu senken. Diese zählen zum größten Teil zu den so genannten „Fäulniskeimen“. Diese verwerten hauptsächlich Eiweiß und breiten sich aus, wenn zu wenige Ballaststoffe verzehrt werden und dadurch die gesunden Bakterien fehlen.
Fazit:
Bestimmte Bakterien, vor allem solche aus der Gruppe der „Fäulnisbakterien“ sind in der Lage TMA zu bilden, das Gefäßverkalkung fördert. Mit Hilfe eines Tests lässt sich überprüfen, ob der TMA-Spiegel zu hoch ist. Ist das bei der Fall, sollte weniger Fleisch und Eier verzehrt werden und keine L-Carnitin-haltigen Nahrungsergänzungsmittel eingenommen werden. Knoblauch, Olivenöl, Traubenkernöl, Balsamicoessig und Rotwein konnten in Studien die bakterielle TMA-Bildung verringern.
Quellen Arterienverkalkung:
Li XS, Obeid S, Klingenberg R et al. (2017) Gut microbiota-dependent trimethylamine N-oxide in acute coronary syndromes: a prognostic marker for incident cardiovascular events beyond traditional risk factors. Eur Heart J., 38(11): 814-824. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/28077467
Wu W, Chen C, Liu P et al. (2019) Identification of TMAO-producer phenotype and host–diet–gut dysbiosis by carnitine challenge test in human and germ-free mice. Gut 68:1439-1449. https://gut.bmj.com/content/68/8/1439
Wu W.-K. et al. (2015): Dietary allicin reduces transformation of L-carnitine to TMAO through impact on gut microbiota. Journal of Functional Foods, 15: 408-417. https://www.researchgate.net/publication/275235103_Dietary_allicin_reduces_transformation_of_L-carnitine_to_TMAO_through_impact_on_gut_microbiota